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(INES: 6)
Der Kyschtym-Unfall ereignete sich am 29. September 1957 in der Kerntechnischen Anlage Majak, einer Anlage zur industriellen Herstellung spaltbaren Materials in der Sowjetunion.
Er gilt als drittschwerster Atomunfall der Geschichte (nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima) und wird mit INES 6 kategorisiert, da sehr große Mengen radioaktiver Substanzen an die Umwelt abgegeben wurden.
Der Atomunfall:
Die bei der Aufbereitung der abgebrannten Uranbrennstäbe zur Gewinnung des spaltbaren Plutonium-239 angefallenen, hochradioaktiven flüssigen Rückstände wurden in großen Tanks gelagert. Diese mussten gekühlt werden, weil durch den radioaktiven Zerfall der Stoffe Nachzerfallswärme entstand. Nachdem im Laufe des Jahres 1956 die Kühlleitungen eines dieser 300 Kubikmeter fassenden Tanks undicht geworden waren und die Kühlung ausfiel, begannen die Inhalte dieses Tanks zu trocknen.
Am 29. September 1957 löste der Funke eines internen Kontrollgeräts eine Explosion der auskristallisierten Nitratsalze aus. Es handelte sich um eine chemische (keine nukleare) Explosion, die große Mengen radioaktiver Stoffe freisetzte. Darunter befanden sich langlebige Isotope wie z. B. Strontium 90 (Halbwertszeit 29 Jahre), Cäsium-137 (30 Jahre) und Plutonium-239 (24.110 Jahre).
Die Explosion soll laut Zeugenberichten als leuchtender Schein noch hunderte Kilometer entfernt sichtbar gewesen sein und in damaligen sowjetischen Zeitungen als Wetterleuchten beziehungsweise Polarlicht erklärt worden sein.
Die Verseuchung:
Insgesamt wurde durch den Unfall nach Angaben der Produktionsfirma Majak und der Behörden Materie mit einer Radioaktivität von 400 PBq (4 · 1017 Bq) über eine Fläche von etwa 20.000 Quadratkilometern verteilt. Der Unfall ist damit hinsichtlich der Radioaktivität des freigesetzten Materials vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe. Andere Quellen sprechen von deutlich höheren Mengen freigesetzter Radioaktivität.
Etwa 90 % des radioaktiven Materials verblieb auf dem Betriebsgelände, 10 % wurde durch Winde bis zu 400 km in nordöstliche Richtung verteilt (Fallout) und bildete die sogenannte "Osturalspur" (siehe folgende Landkarte).
Durch den Kyschtym-Unfall kontaminiertes Gebiet: "Ostural-Spur" (Quelle: Jan Rieke)
Das betroffene Gebiet von 20.000 km2 hatte damals etwa 270.000 Einwohner.
Ein etwa 1.000 km2 großes Gebiet, das mit mehr als 74 kBq pro Quadratmeter mit Strontium 90 verseucht war, wurde sieben bis zehn Tage später evakuiert. Verschiedene Quellen sprechen von 600 bis 1.200 Betroffenen. Die durchschnittliche Äquivalenzdosis auf das Knochenmark der 1054 Bewohner der drei am nächsten gelegenen Dörfer betrug etwa 570 Millisievert. Acht Monate darauf wurden weitere 6.500 Personen aufgrund der Kontamination ihrer Nahrung in Sicherheit gebracht.
Insgesamt wurden etwa 10.700 Personen umgesiedelt.
Denkmal für die Opfer des Kyschtym Atomunfalls
(Quelle: ecodefense)
Im Unterschied zur Katastrophe von Tschernobyl wurde das Material lokal und regional verteilt. Der heftige Graphitbrand in Tschernobyl beförderte einen Großteil der Radionuklide hoch in die Atmosphäre hinauf, während bei Majak aufgrund geringerer Thermik eine bodennahe Wolke entstand. Die hohe Konzentration der Radioaktivität, mangelnde Aufklärung der Bevölkerung, die nicht flächendeckende Evakuierung der Gegend und unzureichende Dekontamination führten zu hohen Schäden in der betroffenen Region.
Eine genaue Opferzahl kann nicht angegeben werden, da keine belastbaren Studien und Untersuchungen vorliegen. Eine Vergleichsrechnung auf Basis der von den Behörden angegebenen radioaktiven Belastung schätzt etwa 1000 zusätzliche Krebsfälle durch den Unfall.
Öffentlichkeit:
Der Majak-Unfall konnte bis in die 1970er Jahre vertuscht werden, da die Kontamination sich regional auf den Ural beschränkte und keine messbaren Effekte durch radioaktiven Niederschlag in Westeuropa feststellbar waren. Die ersten Informationen gelangten durch einen Artikel des sowjetischen Journalisten und Dissidenten Schores Alexandrowitsch Medwedew in der Zeitung New Scientist 1976 an die westliche Öffentlichkeit.
Die sowjetische Führung gestand erst 1989 die Geschehnisse offiziell ein.
Der streng geheime erste Atom-Gau
(Dokumentation auf ARTE)
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